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Manchmal darf ich auch für andere schreiben. So bspw. zum Lehrermangel und zur Frage, wie es sich mit einer Depression in der Schule arbeitet (Spoiler: gar nicht!). Anfragen gerne per Email - ob Feminismus oder Männlichkeiten, Macht und Gewalt oder Geld und Politik - ich schreibe und texte zu allem, das verändert oder Bewegung braucht.
zu den Artikeln:
Vom Geheimnis, das in Herzen wohnt: mit einer Depression leben
Im Pandemiefrühjahr 2021 zeichnete sich ab, dass ich einmal mehr meinen Job aufgeben würde. Während insbesondere der freiberufliche Teil meines Berliner Kreises neidisch auf mein fast unkündbares, gut bezahltes Lehrerinnendasein im Angestelltenmodus blickte, wollten die anderen mich nicht mehr treffen („Virenschleuder!“ war noch eines der freundlicheren Zuschreibungen); manche schafften gar die Kombination. Niemand wollte sich vorstellen, den Job auszuüben. So beneidenswert war das Lehrkraftleben dann doch nicht.
Eines langen Mittwochvormittags fand ich mich mit Tränen kämpfend vor einer meiner Klassen wieder. Wir besprachen Auszüge aus Michael Endes „Momo“. Mein Stundenziel sah vor, die Kids zu erinnern: an das Geschenk des Zuhörens als Raum, in dem sie alles finden, das sie suchen und benötigen, weil sie sich dort selbst begegnen; an die Schätze, die sich in leisen wie zwischen Tönen, sogar in Stille verbergen und die es zu entdecken gilt, da sie selbst welche sind.
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Lehrerinnen und Lehrer: Geht streiken!
Der Lehrkräftemangel ist dramatisch und wird überall beklagt. Trotzdem sind keine echten Lösungen erkennbar. Das liegt auch an Lehrkräften, die sich nicht wehren.
„Manchmal reagiert die Politik dann doch schnell. In Niedersachsen hatte eine Grundschulleiterin Mitte Februar aus akutem Mangel heraus entschieden, den Schulbetrieb auf eine Viertagewoche umzustellen. Noch am selben Tag kassierte das Kultusministerium in Hannover den Plan, mit dem Hinweis: Spielräume würden bestehen, "um durchgängige Schulpräsenz (…) zu sichern". Aber hilft das? Präsenz ist kein Unterricht. Selbst Trickfilme machen keinen Spaß mehr, wenn sie nur über Verwahrung hinwegtrösten.
Bis 2025 prognostiziert die Kultusministerkonferenz rund 25.000 fehlende Lehrkräfte, andere, wie der Bildungsforscher Klaus Klemm, sehen die Zahl eher bei 40.000. Doch massiver Unterrichtsausfall ist Betrug der Kinder um ihr Recht auf Bildung, auf Perspektiven und den kleinen Ausgleich für unfair verteilte Chancen. Nach wie vor entscheidet in Deutschland der soziale Stand der Eltern über die Möglichkeiten eines Kindes. Der Lehrkräftemangel trifft zwar alle, doch nicht alle gleich schwer. Denn wer kann, investiert privates Geld in Nachhilfe. Die Verantwortung systemischen Versagens wird auf Individuen übertragen.“
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Ferrars & Fields Magazine (ferrarsundfield.de)
Rape Myths 101: Wo sind sie Täter und seit wann?
Integraler Bestandteil der sogenannten rape culture sind die rape myths, also einer bestimmten Logik folgenden Erzähl- sowie Darstellungsformen von Vergewaltigungen und sexualisierten Formen von Gewalt gegen Frauen. Ein zentraler Teil dieser Narrative war schon immer, der Frau, d. h. dem im gegebenen Kontext zum Opfer gemachten Subjekt, die Schuld für die Gewalterfahrung zuzuschreiben. Angefangen bei Fragen zu ihrer Kleidung, über ihre Nüchternheit, ihr Verhältnis zum Täter, bis hin zum konkreten Anzweifeln ihrer Aussagen. Kulturgeschichtlich finden sich diese Motive unter anderem im Mythos der Medusa oder Kassandra wieder. Ziel ist es, das Opfer der sexualisierten Gewalt im Fokus und ursächlich für den Vorfall zu halten, es somit verantwortlich zu machen für das Handeln und Verhalten des Mannes. Victim Blaming durch klassische Täter-Opfer-Umkehr. Neben vielen Auswirkungen hat dies auch zur Folge, dass der wichtigste Aspekt weiter dramatisch unbeleuchtet bleibt: die Täter. So kennt fast jede*r Frauen, die sexualisierte Formen von Gewalt erfahren haben – doch wieso kennt (fast) nie jemand Täter? Verschwesterung mit Tätern statt Solidarität mit Betroffenen In Anbetracht dessen, dass die meisten dieser Taten eben nicht von fremden Unbekannten aus dem Nichts begangen werden, sondern stattdessen die meisten Überfälle und Delikte innerhalb von Partnerschaften und dem eigenen Zuhause verübt werden, wirft dies eine zunächst vielleicht seltsam anmutende Frage auf: Wissen die Männer vielleicht gar nicht, was sie da tun? Ist den betreffenden Männern eventuell nicht bewusst, dass sie vergewaltigen? Als Ergebnis des zuvor genannten Mythos denken noch immer viele Mädchen und Frauen, es läge in ihrer Macht und unterläge ihrer Verantwortung, eine Vergewaltigung zu verhindern. Diese Fehlannahme lässt weiter etliche dazu übergehen, statt der Solidarität mit den Opfern, die Verschwesterung mit den Tätern zu suchen. Dem zugrunde liegt nicht selten das Bedürfnis und der Wunsch nach dem Gefühl von Macht; der Wunsch, die eigene körperliche wie geistige Unversehrtheit schützen und im Zweifel verteidigen zu können. Umso größer der Schmerz wenn die Realität zum Korrektiv wird. Nein heißt ja wenn er es sagt Die männliche Unwilligkeit, ja gar Verweigerung, eigenes Fehlverhalten als solches zu erkennen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, bildet sich auch in einer im Jahr 2006 von der britischen Frauen- und Kinderhilfsorganisation „The Haven” durchgeführten Umfrage ab, wie Kat Banyard in ihrem Buch The Equality Illusion zitiert. Auch wenn die Studie in England durchgeführt wurde, dürfen wir die Zahlen repräsentativ für den status quo von Frauen im westlichen Patriarchat nehmen. Zudem weisen zahlreiche Quellen darauf hin, dass die Anzahl, Häufigkeit und das Ausmaß häuslicher Gewalt inklusive sexualisierter Formen von Gewalt in Partnerschaften während der Pandemie weiter drastisch zugenommen haben. Schmerzlich bestärkt durch die internationalen Zahlen, die im Jahr 2006 allein in der UK täglich 200 angezeigte Vergewaltigungen dokumentierten, wurde im Rahmen der von Banyard erwähnten Studie1 großflächig die Hälfte aller britischen Männer zwischen 18 und 25 Jahren zu dem Thema befragt. Zu den für mein Verständnis relevantesten Ergebnissen zählt die Angabe der Hälfte der Befragten, Sex und sexuelle Aktivitäten auch dann fortzusetzen, wenn die Partnerin deutlich und vernehmbar ihre Meinung dazu geändert und ihre Zustimmung zurückgezogen hatte. Besonders erhellend ist, dass diese Hälfte zudem erklärte, dies nicht für eine Vergewaltigung zu halten. Übersetzt heißt das: Nein heißt ja, selbst wenn sie nein sagt, solange er ja sagt. Zu den weiteren Erkenntnissen der Studie: einer von vier Männern hält es nicht für Vergewaltigung, wenn er mit einer Frau Sex hat, obwohl diese von Beginn an „Nein“ dazu sagt; einer von vier Männern würde versuchen, eine Frau zum Sex zu überreden, selbst wenn er weiß, dass diese dazu weder Lust noch Willen hat; 5% würden versuchen mit einer Frau Sex zu haben, die schläft; 6% würden versuchen, eine offenkundig betrunkene Frau zum Sex zu überreden. Aus einer analog dazu durchgeführten Umfrage ging hervor, dass 89% der Betroffenen die Vergewaltigungstäter kannten: In 45,5% der Fälle war der Täter der aktuelle oder Ex-Partner, gefolgt von Freunden und Bekannten mit 29,6%. Platz drei belegten Verwandte (13,9%), weit abgeschlagen und das Schlusslicht bildend lag, die Feministin nicht überraschend, der im rape culture-Patriarachat auf Platz eins projizierte unbekannte, fremde Mann (11%). Die Fragen, die sich für mich daraus ergeben, lauten: Kennen die meisten auch deshalb so wenige Täter, weil diesen nicht bewusst ist, sexuell übergriffig gewesen zu sein? Denn offenkundig ist das Bild oder die Vorstellung von dem Akt dieses Übergriffs dermaßen verzerrt/korrumpiert, dass es etlichen nicht einmal auffällt, wenn sie ihn begehen. Was halten die Befragten für Vergewaltigung, wenn nicht Sex gegen den Willen, gegen das Einverständnis der anderen? Wie viele Ehemänner wurden in Deutschland de jure durch die Gesetzesänderung im Juli 1997 zu Vergewaltigern, jedoch weiterhin nicht laut ihres Selbstverständnisses? Wer kannte ab August 1997 mehr Vergewaltiger als noch im Juli desselben Jahres? Wiegt die Herkunft des Täters mehr als die Tat selbst? Mit Blick auf Silvester 2015 und das mediale wie politische Echo darauf lässt sich durchaus vermuten, dass eine Vergewaltigung sich im Weißen Patriarchat nur durch das sie vollziehende Subjekt in Form eines schwarzen Mannes, nicht aber durch die tatsächliche Tat definiert. Wiegt die Herkunft des Täters mehr als die Tat selbst? Immer? Oder in gradueller Abhängigkeit der Breiten- und Längengrade des Herkunftsortes des Täters? Gibt es auch deshalb diese Solidarität unter Männern, weil keine kleine Zahl zumindest dumpf ahnt, selbst möglicherweise Täter gewesen zu sein? Wie oft habe ich einem Mann dabei zugehört, wie er den ihm Unbekannten durch Relativierung oder Umdeutungsversuche verteidigte, sogar angesichts und entgegen des Erfahrungsberichts einer vor ihm sitzenden, ihm bekannten Frau? Wie kommt es, dass ich durch Frauen von der Aufklärungs- und Anti-Gewalt-Arbeit von Männern wie dem Bildungsaktivisten, Autor und Filmemacher Jackson Katz oder dem Schauspieler, Filmregisseur und – produzenten Justin Baldoni weiß? Welche Vorstellungen hat (und lebt, unterstützt wie sanktioniert) diese Gesellschaft von Sexualität, von Sexualität im Kontext von Geschlecht, Macht, Beziehung und Rollen? Schafft und lässt sie Raum für Sex ohne Macht? Gilt noch immer der Rahmen aus christlich-paternalistischem Ton und binärem Code aus Heiliger oder Hure, innerhalb dessen man Heilige nicht vergewaltigt, die Hure per definitionem nicht vergewaltigbar ist, womit es keine Vergewaltigung von „richtigen“ Frauen gibt – und ergo auch keine wirklichen Täter? So hat sie es also doch verdient oder gewollt. So oder so: Er trägt keine Schuld für seine Tat. Die größte Massenvernichtungswaffe gegen Frauen bleiben Männer Sieht noch jemand, dass dieser double-bind es dem männlichen Täter so ermöglicht, für immer ohne Verantwortung zu bleiben, ganz gleich wie gräulich die Tat? Wie hält eine Frau es aus, dass ihr Missbrauchstäter weder juristisch noch sozio-kulturell jemals zur Rechenschaft gezogen wird? Was ist die männliche Vorstellung von weiblicher Sexualität und Lust? Woher kommt die Lust und der Lustgewinn an (sexueller) Erniedrigung der Frau bei so vielen Männern? Woher weiß eine Frau, dass sie bei einem Mann sicher ist? Was braucht es, damit die Stimme einer Frau zählt? Und schließlich: Wie bekomme ich das Patriarchat aus den Köpfen, das noch immer lieber FLINTA* ihre Glaubwürdigkeit und so auch das Recht auf Autonomie abspricht, als Cis-Männer in Verantwortung für das eigene aktive Handeln zu nehmen? Das Patriarchat, das lieber vor einem Kippen ins Matriarchat warnt — weil eine Frau erstmals für eine Legislaturperiode von 16 Jahren lang Kanzlerin war — anstatt marginalisierten, unterdrückten und strukturell benachteiligten Stimmen Gehör zu schenken. Wohl bemerkt in einer Zeit, in der in Deutschland jeden zweiten Tag eine Frau durch Männerhände stirbt, und jeden einzelnen Tag mindestens ein Mann versucht eine Frau zu töten. Das Patriarchat, in welchem Männer sich eher solidarisch mit ihnen unbekannten männlichen Tätern erklären und sie sich im Zweifel eine Welt basteln, in der Frauen weder diskriminiert noch angegriffen werden können, sei es durch Negieren oder Leugnen der Erfahrungen selbst ihnen vormals vertrauter Frauen. Die größte Massenvernichtungswaffe gegen Frauen bleiben Männer, und immer noch ist das Zuhause der gefährlichste Ort für FLINTA*. Mein Neujahrswunsch bleibt also das Ende des Patriarchats mitsamt seinen hass- und machtbedürftigen Brüdern wie Frauenhass und Egomanie. Das kommende Jahr steht an. Das kommende Jahr wird lang. Genug Zeit um Antworten zu finden. Oder bessere Fragen. Mythen sind aus guten Gründen zu hinterfragen. Sie sind überlieferte Geschichten vergangener Zeiten in ihrer Interpretation. Doch in dem, was bewahrt wurde, liegt auch der Schlüssel zur Veränderung. Denn selbst die Mythen um Figuren wie die einer Medusa oder Kassandra werden nach und nach holistischer, ehrlicher und endlich gehaltvoller erzählt. Alles bleibt also wandelbar. Das gilt auch für Bilder und Vorstellungen von Männlichkeiten. Der Held darf sich mittlerweile selber retten. Auf ein weiteres bewegtes und bewegendes neues Jahr – und Frauenleben. 1 Kat Banyard: The Equality Illusion. Faber & Faber: 2010.
Ferrars & Fields Magazine (ferrarsundfield.de)
Aufklärung gegen Verklärung: Schluss mit der Romantik. Keine Kinder sind auch eine Wahl
Auch heute gelten Frauen ohne Kinderwunsch noch als Abweichung einer, so scheint es, natürlichen Disposition. Dabei umgibt gebährfähige Menschen seit jeher sowohl Mythos als auch Pathos. Beides ist kulturell gewachsen. Die Überzeugung, dass Mutterschaft in Frauen angelegt sei, ist ein Kontrollmechanismus durch Staat und Kirche, welcher Selbstbestimmungsrechte untergräbt und muss als solcher sichtbar gemacht werden. Vor drei Tagen sind meine Nachbar*innen ausgezogen. Diesem Tag habe ich mindestens so sehr entgegengefiebert wie sie selbst, wenn auch sicherlich aus anderen Gründen. Dabei hatten wir für rund neun Jahre ein gutes, fast freundschaftliches Verhältnis. Zumindest mein Nachbar und ich. Dann zog seine Freundin ein, aus der die Ehefrau wurde und schließlich die Mutter seines Kindes. Die Wand zwischen unseren Wohnungen entsprach schon immer eher einem Sicht- als einem Hörschutz — wir konnten uns niesen hören. Neun Jahre halfen wir uns beim nachbarschaftlichen Miteinander, wiesen uns bei Störungen durch freundliches Klingeln oder Kurznachrichten darauf hin, dass mehr Ruhe noch schöner, vor allem nötig wäre. Ab der Geburt des Nachwuchses schallten durch diesen Sichtschutz das Geschrei und Quietschen des Brüllkindes, begleitet von fast täglichen Streits seiner Eltern, anschließendem Versöhnungssex sowie weiterhin alle Telefonate und Besuche von Freund*innen oder Familie. Fortan war ich bei allem, was diese Beziehung bereithielt, dabei und mittendrin, zu jeder Tages- wie Nachtzeit. Meine Wohnung besteht aus einem Zimmer plus Bad und Küche. Einen echten Rückzugsort abgesehen vom Raum an der schalldurchlässigen Wand gibt sie nicht her. Die Nachbarwohnung hält zwei gleichgroße, identische Zimmer bereit, eines davon weit entfernt von meinem; Rücksicht wäre also möglich gewesen. Warum aber gab es sie nicht? Auch nicht, nachdem ich im x‑ten Gespräch darauf hinwies, was alles in meiner Wohnung ankommt und ich um eben diese Rücksicht bat? MEIN TERRORIST, DEIN TERRORIST: GETEILTES LEID IST KEIN HALBES. Für am wahrscheinlichsten halte ich folgendes: Je gestresster die Eltern, desto weniger Rücksicht nehmen sie auf Menschen, mit denen sie nicht verwandt sind. Anders formuliert: Je rücksichtsloser das Kind, desto rücksichtsloser die Eltern. Gewalt erzeugt Gegengewalt, und permanente Grenzverletzungen sind welche. Dabei werfe ich hier undifferenziert in einen Topf, was kaum vergleichbar ist: Kinder, erst recht Neugeborene, haben keine Vorstellung von Rücksicht oder Ignoranz. Sie sind einfach und das gänzlich im Naturzustand: Jedes Bedürfnis, jeder Konflikt, jeder Impuls wird unkontrolliert und ungehemmt nach außen getragen, wo sie auf Gehör und Erfüllung stoßen wollen. Das reine Ego. Da dem Kind kein Bewusstsein für das eigene Handeln und Verhalten zu unterstellen ist, die Möglichkeiten des sich Mitteilens sehr begrenzt sind und wir Erwachsenen wissen, dass die Kleinen komplett abhängig von uns sind, bleibt idealerweise nur dies: Berücksichtigung, Liebe und Geduld. Ich verstehe das. Dass Erwachsene nach der x‑ten Nacht ohne Schlaf (was aus Gründen der Wirksamkeit anerkanntes Folterinstrument ist), der täglich zunehmenden Erkenntnis darüber, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben, als Folge dessen auch den Sinn und das Gespür für die Grenzen des sozialen Miteinanders verlieren, verstehe ich ebenfalls. Beides wollte ich nie erleben. NICHT NUR MEIN BAUCH, MEIN LEBEN GEHÖRT MIR. Zu keiner Zeit meines Lebens wollte ich Mutter sein. Die Welt bereisen und erkunden, Texte verfassen, vor allem unabhängig sein – das waren und sind meine Ziele wie Wünsche für mein Leben. Schon immer gewesen. Ich habe als Teenagerin aufgehört zu zählen, wie oft ich dafür belächelt oder beleidigt, meine Aussage zum Symptom einer Störung gemacht wurde. Allein das erzählt viel über den Status quo unserer Gesellschaft: Wann hat ein Mann das jemals postulieren und verteidigen müssen? Wann wurde einem Mann jemals abgesprochen oder angelastet, selbstbestimmt und kinderfrei sein Leben gestalten zu wollen? Schon als Jugendliche empfand ich die These, dass ich aufgrund meines biologischen Geschlechts gern und aufopferungsvoll darin aufgehen werde, mich dem Willen und den Bedürfnissen eines Kindes unterzuordnen und mein Leben danach auszurichten, für absurd — für einen Angriff auf meine Autonomie und Identität als Individuum. Mehr noch: Meinem Uterus, also einem winzigen Teil meiner physischen Existenz, mehr Raum zu geben als dem Rest wie meinem Hirn, meinem Intellekt, meinen kognitiven wie allen weiteren Fertigkeiten, halte ich bis heute für wahlweise belustigend bis unfassbar beschränkt. Vornehmlich jedoch für symptomatisch im Patriarchat. Denn in diesem ist die vorrangige Funktion, die ich als Frau erfüllen soll, eben vor allem eine biologische: gebären. Nur deshalb gilt bis heute ein Abtreibungsverbot in Deutschland. Aus diesem Grund allein dürfen Abtreibungen durchführende Ärzt*innen dazu bis dato keine Informationen bereitstellen.1 Ginge es ehrlich um den Nachwuchs statt um Misogynie, gäbe es weder Kinderarmut noch anhaltende, familiäre Vernachlässigung und Gewalt. Es gäbe weder fehlende Kita- und Schulplätze, noch Klassismus im deutschen Bildungssystem. Ginge es ehrlich um das Wohlsein der nächsten Generationen, der Staat kümmerte sich. So geht es jedoch um männlichen Allmachts- und Kontrollwahn über den potenziell gebärenden Körper, bzw. eben um dies: Die Untergrabung von Selbstbestimmungsrechten. Im Zweifel über Schuld und Mythen. HERRIN IM EIGENEN HAUS: WER IST HIER FÜR WEN DA? Dahinter liegt ein weiteres, erhellendes Missverständnis, das gern als Mythos forterzählt wird. Die Funktion (m)eines Uterus besteht entgegen landläufiger Meinung nicht primär im Aushalten, Schützen und Versorgen eines Embryos. Sein primärer Auftrag ist es, die fertile Person im Fall der Befruchtung einer Eizelle zu schützen vor dem, was sich vor allem invasiv und für das eigene System höchst bedrohlich im Uterus breit machen will. Die Selbstschutzfunktion, der Selbsterhalt, das Überleben des Subjekts, das ihn versorgt zu sichern, das ist Sinn und Zweck dieses Organs. Wie könnte es auch anders sein? In Anbetracht der völligen Abhängigkeit des Fötus und der Unfähigkeit allein zu überleben, steht natürlich das Leben der schwangeren bzw. gebärenden Person im Fokus. Was denn sonst? NATUR UND KULTUR = NATURALISMUS CONTRA BEHAVIORISMUS? Über Jahrhunderte hinweg und bis dato wird diskutiert, ob der Mensch ein Naturwesen sei, was meint ein vor allem von Instinkt und Impuls geleitetes, wie Nietzsche sagte, „nicht festgestelltes Tier“ (Jenseits von Gut und Böse: §62). Diese Haltung gereicht bis heute dazu, Frauen wie mich d. h. mit dem Wunsch kinderfrei zu bleiben, zu pathologisieren, weil wir angeblich gegen die Natur agieren. Dem gegenüber steht der Behaviorismus, also die Annahme, dass der Mensch ein Kulturprodukt ist, d. h. befähigt zu Bildsamkeit, Reflexion, Impulskontrolle und beeinflussbar durch Erziehung, Umwelt wie Gesellschaft. Als Kultur- und Sprachwissenschaftlerin habe ich den Widerspruch mitunter als konstruiert bzw. ignorant bis ideologisch geprägt empfunden. Meist arbeitet gerade der Naturalismus für Männer, wobei als Stichwort rape culture genannt sei. Es ist offenkundig, dass wir mit naturgegeben Anlagen in die Welt kommen (Sprachen zu erlernen ist eine davon). Was wir daraus machen, was davon gefördert oder gar sanktioniert wird, das sind Fragen, die zeit‑, orts- wie kulturabhängig verschieden beantwortet wurden und werden. Als lebende, lebendige Materie sind wir Teil der Natur aus der wir stammen. Gleichwohl sind wir imstande, Triebe und Impulse zu kontrollieren. Andernfalls befänden wir uns in Chaos miteinander und jeder Hunger brächte die Gefahr eines Überfalls der nächstgelegenen Bäckerei mit sich. Wir sind zu jeder Zeit sowohl Kultur- als auch Naturwesen mit der ständigen Einladung zur Metaebene, oder auch Abstand zu uns selbst. Dies schafft den Raum, innerhalb dessen wir uns zu uns selbst verhalten können und ehrlich von Wahl anstatt von Konsequenz zu sprechen beginnen. Ein kleiner Teil meines Körpers erinnert mich regelmäßig an meine Befähigung dazu, schwanger zu werden. Alles weitere an mir lehnt das ab, entscheidet sich bewusst dagegen – denn das ist möglich und trennt mich vom Tier, ohne mich deshalb göttlich zu machen. Schwanger werden zu können heißt nicht, es sein zu wollen. Während ich mir das Menstruieren nicht aussuche, kann ich mich zur potenziellen Konsequenz dessen verhalten und nach meinen Vorstellungen davon, was für mich ein glückliches, aktives, selbstbestimmtes Leben bedeutet, frei entscheiden. Wie viele Spermientragende fragen sich ernstlich und verantwortungsvoll vor jedem Erguss, ob sie damit befruchten wollen, einfach weil sie es könnten und entscheiden sich dann deshalb dagegen? WAS WILL UNS DIE AUTORIN DAMIT SAGEN? Warum ist dies noch immer relevant? Weil die These des Naturalismus von Frau = Gebärende bis heute u. a. hierfür mitverantwortlich ist: dem Gender Pay Gap in allen Bereichen der Lohnarbeit, den Fragen nach meiner Familienplanung bei Vorstellungsgesprächen, die Empörung über Frauen, die ihre Schwanger- und Mutterschaft bereuen sowie die Scham derselben darüber; die Scham und die Selbstzweifel bis hin zur tiefen Verunsicherung von Frauen ohne Kinderwunsch, die sich permanent dazu von Fremden wie Bekannten befragen, vor diesen rechtfertigen und ggf. von diesen pathologisieren lassen müssen; das Feiern von Männern, die ihrer Verantwortung als Vater nachkommen beim ewig gleichen Double Bind für die Frau: egal wie, sie macht es eh immer falsch. Anders formuliert: Bei all der zunehmenden Fülle von Texten, in denen Frauen die Motive ihrer Kinderfreiheit erklären, warum gibt es keine von cis-männlichen Verfassern, in denen sie ihre darlegen und rechtfertigen? Da Frauen sich nicht selbst befruchten, könnte man den Diskurs als einseitig betrachten – oder als Beleg dafür, dass wir noch immer tief und fest im Patriarchat hängen. Während der kleine Junge und sein Vater also wöchentlich lauter wurden, hörte und sah ich von meiner Nachbarin täglich weniger. In einem der ergebnislosen Konfliktgespräche erklärte er mir nebenbei, dass „manche Kinder halt mehr schreien als andere”. Soweit, so richtig. Doch warum sollte ich als gewählt kinderfreie Frau das ungefragt und ungebeten mit aushalten müssen, erst recht wenn es Alternativen, wie in Form weiterer Räume, dazu gibt? Um es mit Rousseaus Worten aus „Émile oder Über die Erziehung” zu sagen: „Wir wissen nicht, was die Natur uns vorgibt zu sein”. Das Patriarchat und seine Begünstigten behaupten jedoch bis heute, exakt dazu befähigt zu sein. Und das liegt nun tatsächlich in der Natur der Sache, also des Konzepts; nicht jedoch in der Natur der Menschen. 1 ANMERKUNG: DIE NEUE REGIERUNG PLANT DIES DURCH STREICHUNG DES §219 ZU ÄNDERN.
Ferrars & Fields Magazine (ferrarsundfield.de)
Meine Depression und ich: Sich zu kennen, heißt zu kennen.
Seit zwei Wochen schulde ich meiner Redaktion einen Text. Seit zwei Wochen kämpfe ich mit meiner Depression. Und sie mit mir. Vergangene Woche zog ich um und kam mir dabei so langsam vor wie noch nie. Dabei war die Strecke so kurz und die neue Wohnung lag so nah wie nur denkbar: Ich musste lediglich und wortwörtlich über den Hausflur. Meine Vorbereitung lag also vor allem im koordinierten Möbelschieben meiner vier wohnlichen Besitztümer über besagten Flur. Nicht einen Karton, dafür die Handwerker der neuen alten Nachbarwohnung zum Helfen organisiert, landeten selbst Kühlschrank und Waschmaschine nebenan, ohne dass ich auch nur eine*n Freund*in mobilisiert hatte; die meisten meiner Bücher, der Hauptanteil meines Besitztums, trug ich in Bündeln und zwei Reisetaschen hinüber. Am Ende war der Umzug innerhalb von drei Tagen vollzogen. Erfahrungsgemäß erledige ich solche Dinge innerhalb eines Tages, auch bundesweit. Den versprochenen Text habe ich in den vergangenen 14 Tagen auf ungefähr vier Anfänge und maximal drei Zeilen gebracht. Bis heute. Warum? Nicht wegen eines Umzugs und was er mit sich bringt, oder der Weihnachtszeit, oder den beiden Aspekten gemeinsam. Nein. Weil sich in einer der letzten Nächte in meiner alten Wohnung völlig uneingeladen wenn auch vorhergesehen meine Depression dazugesellte. Sie schaute mit ihrem defizitären Blick auf meine Situation, mich und mein Leben, um mir dann allerhand fiese miese Gemeinheiten über mich zu erzählen. Und ich ließ sie reden. Am Anfang hörte ich ihr sogar zu. Das tat sehr weh. Denn sie ist keine Freundin. Auch wenn wir uns nun über mein halbes Leben kennen und sie mir anhängt, als würde sie mich mögen: Diese Depression ist keine Freundin von mir. Folglich darf sie jede*r aus meinem Haus schmeißen, wer kann. Ich hab es oft versucht. Meist ohne Erfolg. Auf meine Kosten. Denn am Ende verlässt sie mein Haus oft erst dann, wenn ich wimmernd und niedergerungen auf dem Küchenboden liege. Oder auf dem Weg dahin, wie dieses Mal: Während sich ein Teil von mir zusammengerollt und weinend zwischen die Kartons legen wollte, war ein weiterer Teil bei „ZackZack“ und engagiert dabei, voller Angst und Härte für den müden ersten Part – beobachtet von einer dritten Instanz, die beide Seiten gern versöhnen möchte, doch schmerzlich selten Gehör findet. Nachdem ich ihr also eine Weile zugehört hatte und sie mir einmal mehr die Kehle zuschnürte, mich keinen Atemzug ohne Schmerzen im Hals nehmen ließ, bis mir schließlich die Tränen übers Gesicht liefen, verbat ich ihr endlich den Mund. Während sie mir weiter ihre Verachtung ins Ohr flüsterte und ihren Hohn über mir ausgoss, befahl ich ihr zu schweigen. Das war für uns beide neu und wirkte, vermutlich auch aus dem Überraschungsmoment heraus. Ich blieb dabei. Wann immer diese unfreundliche, lieblose Stimme neu ansetzte, trat ich für mich und ein Versprechen ein, dass ich mir vor langer Zeit gegeben habe: meine Freundin zu sein. Als solche würde ich nicht erlauben, dass jemand so mit mir spricht, wie meine Depression es zuweilen tut. Ich verbat mir also ihren Ton. Und es half; es hilft. Es kostet noch immer Kraft. Doch wache ich täglich lieber mit mir auf, schaue ich optimistischer in den Tag; schaffe ich es immerhin nach zwei Wochen anstelle von drei Monaten, einen Text zu schreiben. Ist die Freude daran größer als die Selbstzweifel, die mir Nichts und nur das zugestehen wollen. Die Hölle ist kein Ort, sondern ein Zustand. Ich spreche also neuerdings freundlicher, geduldsamer mit mir. Ich bin verständnisvoller, liebevoller. Ich schaue auf das, wofür ich dankbar bin und auf meine Erfolge: nicht, um mein Ego zu füttern, sondern um mir Mut zu machen. Ich bin die Freundin, die ich mir wünsche und vornehme für die Menschen zu sein, die mir wichtig sind, die ich schätze. Und ich denke, dass mensch nur geben kann, was mensch selbst annehmen kann. Es ist ein Missverständnis zu meinen, man müsse sich selbst lieben, um andere lieben zu können. Es ist wichtig, sich selbst zu lieben, um überhaupt die Liebe von anderen annehmen zu können. Erst darauf folgt das Geben. Wir können nur geben, was wir meinen selbst verdient zu haben. So gesehen ist Selbstliebe also Bedingung und ein Akt der Nächstenliebe, vorausgesetzt, mensch ist sich dabei wirklich selbst begegnet und hat sich nicht nur ehrlich ausgehalten.