Es könnte so einfach sein. Mein Leben könnte so viel leichter sein.
Ich müsste einfach nur ein bisschen mehr lächeln. Gut, ich dürfte nicht zu viel lächeln, denn sonst kann man mich nicht ernst nehmen. Wichtig auch: darauf achten, wen ich anlächle. Mein Lächeln gilt als Einladung zu allem, was Mann sich wünscht. Ideal, stünde ich Herren stets gesprächs- und paarungsbereit zur Verfügung. Das könnte viele Konflikte lösen. Schließlich existiere ich, um Männer in ihrem Selbst- und Weltbild zu bestätigen. Alles andere darf bestraft werden. Wusste Eva schon; vor ihr Lilith. Lächeln sollte mir natürlich sein. Minimum.
Lächle ich nicht, gilt es als Affront der belegt, dass ich meine Rolle nicht verstanden habe und zurechtgewiesen werden muss. Bezeugt es doch ein gestörtes Verhältnis zu meiner Weiblichkeit. Da das gefährlich ist, erinnern Herren mich gern daran: „Lächel mal!“ Denn nur, wenn ich mich wie eine richtige Frau benehme, also über meine mir zugeschriebene Rolle als schwache, hilflose, vom Mann abhängige Existenz lächle, erspart Mann mir Gewalt, gewährt mir Schutz und Hilfe – vor anderen Männern, denn für die wird Männlichkeit produziert. Über Frauenkörper, was meist Abwertung derselben bedeutet. Leider ist der weiße Ritter nicht immer in der Nähe, und dann stirbt eine von uns. Dass das nicht rassistisch ist, ist ja wohl klar: Wir begehen keine Ehrenmorde oder Femizide. Das machen die Anderen. Wir haben Familientragödien. Sehr tragisch, doch kein strukturelles Problem. Bedeutet, dass das Mitgefühl qua kultureller Identität den Tätern gilt. Bei uns sind die Männer anständig. Hier gilt der weiße Mann als gefährdet, der gerettet werden muss. Vor wem: Feminismus. Daran Schuld: die Frauen.
Weiblichkeit ist hier heilig. Eine Frau ist potenziell Mutter, und die ist hier das Größte. Ein tugendhafter Mann verletzt keine Frau, und deutsche Männer haben Tugendhaftigkeit erfunden. Also sind Frauen das Problem. Alles Tugendfuror, denn Frauenhasser, das sind die Anderen. Wissen wir doch seit Silvester 2015. Importierte Probleme. Deshalb bekomme ich auch Unterstützung von Peter, spricht mich in der Bar einer an, der aussieht, als könnte er Muhammed heißen. Ist es hingegen einer, der aussieht wie Peter, tja nun: Ich muss verstehen, dass ich bei meiner Optik angesprochen werde, außerdem hat Peter jetzt auch schon drei Bier getrunken, und da ich immerhin allein in einer Bar sitze - was soll Peter tun? Woher soll Peter wissen, dass ich das nicht will? Kann ich nicht einfach lächeln, denn wie soll Peter sich denn fühlen, wenn ich nicht mitspiele? Im Zweifel noch vor seinen Kumpels, oh boy!
Wieso Peter erwartet, dass ich ihn zu wollen oder min. auszuhalten habe, sein Verhalten meine Verfügbarkeit voraussetzt und wie er auf diese These kommt, all das kann er mir nicht erklären. Weil er das noch nie musste. Weil es schon immer so war – zumindest in Peters Gedächtnis und Erbe. Die Rechtsprechung konserviert das und Peter: „Was hatte sie an? Womit hat sie ihn provoziert? Wie betrunken war sie? Woher sollte er wissen, dass sie nein meinte, als sie nein sagte? Woher soll er wissen, dass sie keinen Sex will, wenn sie bewusstlos vor ihm liegt?“ Ja Peter, woher nur. Im Zweifel war Peter betrunken, was ihn entschuldigt, mich hingegen im selben Zustand für alles schuldig spricht. Auch für Peter. Misogynie 2.0
Wieso kann ich das nicht leichter nehmen? Lächeln, statt alles so schwer, kompliziert, anstrengend zu machen?
Mein Geschlecht, wenn ich es als Rolle korrekt spiele, soll Schutz bedeuten, ihn garantieren. Dabei meint diese Rolle exakt das: dem Mann verfügbar sein. Ganz gleich, was ich will: Ich habe mich seinem Willen zu unterwerfen. Innerhalb dessen gilt: Verhalte ich mich richtig, so die These, wird mir kein Mann Gewalt antun. Zumindest kein „anständiger“. So die Botschaft und die allen Täter-Opfer-Umkehrungen zugrundeliegende Annahme: Er ist korrekt. Sein Fehlverhalten: meine Schuld. Gott und Staat wenn Patriarchat: Allen gilt das Männliche als Norm, Standard und das Höchste. Er ist im Grunde unfehlbar – er hat es zu sein. Es muss somit an mir liegen und mein Versäumnis sein, verhält ein Mann sich nicht korrekt. Jeder ein Einzelfall. Jeden Tag. Deshalb unternimmt dieser Staat weiterhin nichts, um der massiven Gewalt gegen Frauen etwas entgegenzusetzen, uns zu schützen Im Gegenteil. Statt dem flächendeckenden Fehlverhalten von Männern endlich ernsthaft zu begegnen, wird geleugnet und den Opfern die Schuld und Verantwortung für ihr Leid zugeschoben. „Was hattest du an? Womit hast du ihn provoziert?“ Wie ich den, der mir angeblich überlegen doch stets wie ein unmündiges Kind entschuldigt wird, zu Einsicht und Anerkennung eigener Verantwortung bewegen soll, wenn nicht mal juristisch dieser Logik gefolgt sondern alles auf den Kopf gestellt wird - aber ich stelle schon wieder Fragen. Wieder vorbei an meiner Rolle. Wer fragt, lächelt nicht. Wer redet, auch nicht. Doch hat Schweigen noch keine Frau bewahrt. Oder geschützt. Oder zu einem selbstbestimmten Leben ermächtigt. Lächeln auch nicht.
Würde ich doch nicht wissen, dass auch heute min. ein Mann versucht, die Ex oder aktuelle Partnerin zu töten. Während ich diesen Text schreibe, verliert vielleicht gerade irgendwo in diesem Land eine Frau ihr Leben. Plant ein weiterer Mann die Ermordung einer Frau. Weil er nicht erträgt, dass sie sich seinem Willen entzieht. Verweigert. Über eine eigene Stimme verfügt, einen unabhängigen Willen hat, ein selbstbestimmtes Leben führen will. Was im Patriarchat immer Frauenleben gefährdet, weil ich darin als Frau einem Mann gehöre. Seinen Willen, vor allem seine Befindlichkeit vor meine Bedürfnisse stellen soll, denn sonst: Der Arme, wie soll er sich fühlen? Was noch immer bedeutet hat: „Vorsicht, Männer werden böse, fühlen sie sich gekränkt.“ Niemand weiß das so gut wie Frauen. Wir erfahren das jeden Tag aufs Neue. Wieso lächelt überhaupt noch eine?
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