„Ich feier den Partner meiner Freundin“, erzählt eine Bekannte, und ich frage, warum. „Als die Kita-Pädagogin ihm sagte, wie großartig er sei, weil er regelmäßig zuverlässig sein Kind abholt, fragte er, ob sie denn die Mutter des Kindes dafür auch schon gelobt hätte.“
Da: Ein Mann wird erst gewertschätzt, weil er seiner Verantwortung als Vater nachkommt, dann dafür, dass er misogyne Dynamiken benennt. Dabei kommt ihm weniger das eigene Handeln zugute als vielmehr das, was viele andere unterlassen. #allmen profitieren davon, dass die wenigsten Männer Verantwortung und ihren Teil der Arbeit übernehmen. Der etablierte niedrige Standard als Norm macht einen Vater „großartig“ für Verhaltensweisen, die bei Müttern selbstverständlich erwartet werden und bei Nicht-Erfüllung gar Verachtung legitimieren. Er wird „einer von den Guten“, weil er sich weniger schlecht als die Kollegen verhält. So einfach kann es sein, setzen sich Männer die Standards.

„Der Typ ist mega“, sagt eine Freundin freudestrahlend über den neuen Partner. Was ihn „mega“ macht, will ich mitfreudig erfahren. Sie erzählt und je mehr ich höre, desto mehr verblasst meine Freude. Nach ihrem letzten Satz erkundige ich mich, ob sie das Beschriebene bei Frauen, die ihr Freundin sein wollen, nicht voraussetzt: Sie bejaht das. Ich frage, wieso sie von einem Intimpartner weniger erwartet? Warum ihn etwas „mega“ macht, das wenn ich es unterlasse zu Konflikt bis Ende der Freundschaft führt? Wieder landen wir hier: dem verdammten Minimum, für das Männer mega gefeiert werden. Viele scheitern noch daran, wie sie durch online-Kommentare insbesondere seit Freitag einmal mehr zahlreich und eindrucksvoll belegen.
Jede mir bekannte Frau hat in ihrem Leben Gewalt durch Männer erfahren. Jede kennt von Männern verursachte, teils gar bewusst instrumentalisierte Angst und ja, der Plural trifft zu.
Neben den diversen Auswirkungen gibt es einen weiteren Effekt, der mir in Gesprächen mit Frauen auffällt: Die Aufgabe der bzw gegen Null gehende, berechtigte Erwartung, dass ein Mann sich wie ein Mensch verhält, der über Impulskontrolle sowie ein Mindestmaß an Empathie und Anstand verfügt. Dabei kenne ich keine, die einem Mann die Fähigkeit dazu per se abspricht. Was den Schmerz keinesfalls verringert, im Gegenteil. Wie eine Ex-Freundin sprach: „Klar können die anders, aber sie wollen halt nicht.“ Oder wie ich sage: Klar können die anders, doch bisher müssen sie nicht. Die meisten verweigern sich, einfach weil sie es können. Dass der niedrige Standard als Norm etabliert ist, führt dazu, dass verletzendes, unreflektiertes Verhalten akzeptiert wird. Im Zweifel aus Gewohnheit. Immer zu ihrem Nachteil.
Auch aus eigener Erfahrung halte ich diese Dynamik für gefährlich: Wenn ich kaum Gutes erwarte, was bin ich bereit, hinzunehmen?
Was gewinnt eine Frau durch die Abkehr von eigenen Werten, stehen sie doch für Identität und Bedürfnisse? Zunächst männliche Gesellschaft – aber zu welchem Preis? In giftigen Mustern findet sich keine Liebe. Der Eindruck, würde ich konsequent an meinen Standards festhalten, so bliebe ich ohne Typ, ist berechtigt – doch was ist daran schlimm? Wenn die Alternative mehr Arbeit, Sorgen, Verletzung, Gewalt ist – was gewinne ich?
Wann immer ich für mich inakzeptables Verhalten hingenommen, statt mit der Trennung von der Person beantwortet habe, kam es zu mehr Grenzverletzungen. An sich logisch: Wer durchkommt und dabei profitiert von seinem Verhalten, wieso sollte der seine Muster ändern, wenn sie zum Erfolg führen? Wenn ihn Kultur, Gesellschaft, Staat und darin begründete Privilegien schützen – woher soll der nötige Druck zur Veränderung kommen? Es sei denn – er will. Aus Überzeugung. Und die Überzeugten, die gibt es .
Doch je älter ich werde, desto mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die wenigsten Männer Frauen überhaupt mögen. Die verinnerlichte Verachtung sitzt bei manchen so tief, dass es sie mitunter selbst zu überraschen scheint, bricht sie sich Bahn. Erzählt ihnen ihr Selbstbild doch etwas anderes. Wehe aber, eine Frau verhält sich nicht gemäß seines Bedürfnisses, seiner Erwartung, versagt die Bestätigung des männlichen Selbstverständnisses. Gnade der, die männlichem Anspruch auf weibliche Verfügbarkeit widerspricht. Dann verhalten sich viele weiterhin so, als hätte sie Bestrafung verdient, träge dabei die Schuld an der Gewalt gegen sie. Männer bestätigen und schützen sich noch immer in großen Teilen lieber gegenseitig, als sich einer Frau gegenüber solidarisch zu verhalten. Erst recht wenn dafür weder Kekse noch Blow Job als Geschenk warten.
Solange sie sich und ihrem Hass nicht begegnen, wird er weiter wirken, werden sie Frauen verletzen und Frauenleben gefährden. Bis zur Auseinandersetzung hiermit: Erkenne ich an, dass ich für mich, mein Handeln und diese Welt verantwortlich bin? Dass meine Taten mich bezeugen und belegen vor dem Hintergrund der Frage: Wer bin ich? Wer will ich sein? Werde ich dem gerecht?
Die Möglichkeit anzuerkennen, kein Mensch zu sein, mit dem ich freiwillig und gerne meine Zeit verbringe, dass zwischen Selbstbild, Anspruch und Realitäten eine Lücke klaffen könnte, ist essentiell. So wie die Wahrscheinlichkeit, verletzt und Wunden geschlagen zu haben. Ohne diesen Prozess, der ehrlich begangen schmerzhaft ist, keine Veränderung.
Als ich 2011 ein Seminar zum Thema Anti-Sexismus leitete, lud ich die Teilnehmenden in der letzten Stunde dazu ein, sich selbst ein Versprechen zu machen. Ich wiederhole und erneuere meines: Nie wieder senke ich meine Standards oder rücke von meinen Werten ab für männliche Anerkennung – Nähe – Zeit. Ich habe entschieden, meine Latten wieder höher zu hängen – viel höher. Wie ich dem letzten Mann in meinem Leben sagte: „Ja, ich hab dich lieb. Doch mich habe ich lieber.“ Triff mich auf Augenhöhe und bereichere mich dort – nichts weniger reicht, um Platz in meinem Leben zu erhalten. Ich definiere meinen Wert. Kein Mann. Weil ich es will und kann. „Ziemlich gut – für einen Mann“ ist bei weitem weder ausreichend noch gut genug. Nicht für mich. Auch das ist Freiheit. Ihr gehört mein Herz.